Das Projekt umfasst eine digitale Tour, die zu ausgewählten Plastiken und baugebundener Kunst vom Alexanderplatz, über die Leipziger Straße bis zum Platz des Volksaufstands von 1953 führt und zusammen mit der Berlin History App entwickelt wurde, sowie bis zum 21.08.2021 eine Ausstellung im KVOST. Darin wurden die baulichen Elemente der Umgebung in den Ausstellungsraum gebracht.
DA SEID IHR JA!
Ein Projekt von KVOST – Idee und Konzept Stephan Koal
in Zusammenarbeit mit Edouard Compere, Martin Maleschka und Reinder Wijnveld
in Kooperation mit History App Berlin
DA SEID IHR JA!
Das Projekt „DA SEID IHR JA!“ hat es sich zum Ziel gesetzt, von dem 2020 unter Schutz gestellten „Komplex Leipziger Straße“ heraus eine Auseinandersetzung mit architekturbezogener Kunst der DDR anzuregen.
In diesem Sinne wurde in Kooperation mit der berlinHistory App eine digital vermittelte Route entwickelt, in der über 30 Kunstwerke vom Alexanderplatz über die Leipziger Straße bis zum Platz des Volksaufstandes von 1953 beschrieben und erörtert werden. Durch diese Sammlung an Texten und Bildern soll konkretes Wissen über die Kunstwerke und Künstler*innen vermittelt werden, in einem erweiterbaren und langfristig angelegten Format.
Diese historische Bildungsarbeit in digitaler Form ist verbunden mit einer Ausstellung in den Räumen von KVOST, in der Objekte und Kunstwerke aus den Sammlungen von Fred Rubin, Martin Maleschka, Reinder Wijnveld, Gertraude Pohl, dem Kunstarchiv Beeskow und der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) gezeigt werden.
Der Ausruf „DA SEID IHR JA!“ bringt die Freude und Erleichterung des Moments der Wiederentdeckung zum Ausdruck. Gemeint ist ein Aufeinandertreffen von Gegenwart und Vergangenheit, das Erinnerungen zum Leben weckt und den Blick auf die vertraute Umgebung schärft. In der Ausstellung des KVOST wird die Gestaltung des Ost-Berliner Stadtzentrums aus den späten 1960er Jahren auf drei Ebenen angesprochen und vergegenwärtigt.
Elemente der städtischen Infrastruktur und Fragmente von verschwundenen Bauten werden durch die Translozierung in den Ausstellungsraum neu kontextualisiert. So treffen die Elemente der Aluminium-Fassade des „Centrum Warenhauses“ auf Straßenlaternen und eine Deckenleuchte aus dem ehemaligen Zentralkomitee der DDR (heute Auswärtiges Amt). Diese Objekte stammen aus der Sammlung des Künstlers Fred Rubin, der mit Versatzstücken vergangener Architektur arbeitet und diese Bestandteile der Baukunst in die bildende Kunst übersetzt. Er setzt sich mit Orten auseinander „die immer kurz vor dem Abgrund stehen, im Kampf zwischen Erinnerung und Vergessen“. Aus diesen Orten reißt er Objekte heraus, „objets abandonnés,“ verlassene Objekte, die er in „objets trouvés,“ gefundene Objekte, verwandelt. Er verschafft ihnen ein neues Leben und betreibt dadurch Erinnerung. So konnte die Deckenleuchte aus dem Zentralkomittee schon im Foyer des Nikolaisaals in Potsdam neu inszeniert werden, in einer Zusammenarbeit mit dem französischen Architekten Rudy Ricciotti. Diese Installation war allerdings erinnerungspolitisch zu unbequem: Die Leuchte wurde entfernt, ein Zeugnis von der großen Brisanz, die in solchen Objekten latent vorhanden ist.
Ein Fenstergitter aus der Fassade des ehemaligen Polnischen Kulturzentrums an der Karl-Liebknecht-Straße (eine Leihgabe der WBM) macht den fließenden Übergang zwischen Infrastruktur und architekturbezogener Kunst sichtbar, während es selbst als minimalistische Bildkomposition neu inszeniert wird.
Der Stadtraum, in dem diese Objekte einst fest eingebaut waren, wird durch eine Zusammenstellung von über 200 Ansichtskarten aus den Sammlungen von Martin Maleschka und Reinder Wijnveld abgebildet. Sie verschmelzen zu einem fragmentierten Stadtplan, aus hunderten Aufnahmen zusammengestellt, der zugleich das Selbstbild der Hauptstadt der DDR widerspiegelt. Die Ansichtskarten, einst Massenware und Gebrauchsobjekte, sind jetzt Quelle und Zeitzeugen zugleich. Sie bilden verschwundene Bauten ab, legen verdeckte Blickachsen frei und machen die Vielseitigkeit des gestalteten urbanen Raums erlebbar.
Die architekturbezogene Kunst wird durch eine Entwurfszeichnung der Künstlerin Gertraude Pohl zu ihrem Wandbild aus Keramik und Glas in der 37. Etage des Hotels Stadt Berlin (heute Park Inn) vertreten. Die Energie, Dynamik und Lebensfreude, die in den hell leuchtenden Farben der Zeichnung zum Ausdruck kommen, finden sich auch in Günther Brendels Bauarbeiter des Alexanderplatzes wieder. Das Gemälde aus dem Jahr 1969 stammt aus dem Bestand des Kunstarchivs Beeskow. Dieses Beispiel der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Aufbau des Stadtzentrums ist eine Zelebrierung des Bauprozesses, deren Spuren in der Ausstellung zu sehen sind.
Diese drei Ebenen, die physischen Spuren und Spolien des verschwundenen, die Ansichtskarten als Raumatlas und die Kunstwerke als Ausdruck von Hoffnung und Ideal, treffen im KVOST aufeinander. Aus dieser Begegnung heraus entsteht ein Destillat, ein konzentrierter Eindruck von einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Das Unsichtbare wird sichtbar gemacht, wirft ein neues Licht auf die Gegenwart und lädt zur Diskussion über die aktuellen Entwicklungen im Stadtraum ein.
Edouard Compere / 2021