FERNBEZIEHUNGEN

Mit Lesia Pcholka & Uladzimir Hramovich, Zofia nierodzińska, Alicja Rogalska und Aykan Safoğlu

Kuratiert von Zofia nierodzińska und Stephan Koal

Fernbeziehungen wohnt ein Zauber und eine Herausforderung inne, eine erotisierende Spannung des Unfertigen und Ungeschützten und die stete Herausforderung Emotionen über große räumliche Distanzen zu bewahren.

So nah und doch fremd: Die Ausstellung und das Veranstaltungsprogramm spannen den Bogen der Fernbeziehung von der Fremdheit in einem Land, das nicht das eigene ist, bis hin zum faktischen Fremdsein im eigenen Körper, vom Normativen zum Nichtnormativen.

Das Projekt Fernbeziehungen, eine Zusammenarbeit zwischen KVOST und der Galerie Lectwo in Poznan, befasst sich mit dem Thema der Migration, insbesondere der Arbeitsmigration, die stets von weniger privilegierten Ländern und Regionen in stärker industrialisierte und wohlhabendere Länder erfolgt. Ihre Richtung ist daher spezifisch: von Ost nach West und von Süd nach Nord.

In ganz Deutschland und in Berlin stammen die größten Migrationsgruppen aus der Türkei und Polen. Wie wirkt sich die Situation der sogenannten Gastarbeiter:innen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts auf das Selbstwertgefühl und die Lebenschancen der Nachfahren aus? Wie beeinflusst die mit der Transformationszeit und dann mit der EU-Osterweiterung verbundene Migration den Status der migrierenden Menschen?

Mit den Künstler:innen Lesia Pcholka und Uladzimir Hramovich, Zofia nierodzińska, Alicja Rogalska und Aykan Safoğlu versucht die Ausstellung zu ergründen, wie die Erfahrung der Migration die eigene Identität und die Beziehungen zu anderen prägt. Darunter sind diejenigen, die ihr Geburtsland verlassen haben, diejenigen, die sich entschieden haben, zu bleiben, und diejenigen, die zurückgelassen wurden. Mit dem Schwerpunkt auf menschliche Beziehungen und Verbindungen zielt die Ausstellung nicht darauf ab, die oft sehr unterschiedlichen und persönlichen Migrationsgeschichten zu vergleichen, welche die Arbeiten der Künstler:innen inspiriert haben. Vielmehr geht es darum, miteinander in Beziehung zu setzen, inwiefern Migrationserfahrungen auf verschiedene Arten nicht nur die materiellen, sondern auch die emotionalen Aspekte von Leben strukturieren.

Aykan Safoğlus Arbeit Wiedervereinigung (2022) zeigt als großformatiges, sich auflösendes Puzzle das Bild des 1973 entstandenen Arbeiterdenkmals von Muzaffer Ertoran. Das Denkmal sollte an die Emigration von Millionen türkeistämmigen Arbeitsmigrant:innen erinnern. Dennoch wurde es in den darauffolgenden Jahren häufig vandalisiert bzw. Opfer rechter Gewalt bis es 2016 komplett abgerissen wurde. Als Schüler der deutschen Auslandsschule İstanbul Erkek Lisesi begegnete der Künstler in den 1990ern täglich diesem Denkmal im Tophane Park. Mit Aunt Yellow (2021), erinnert Safoğlu an seine nach Westdeutschland emigrierte Tante Zerrin, die er als Jugendlicher häufig besuchte. In seinem Essay porträtiert Safoğlu diese ungewöhnliche Schneiderin, die ohne deutschen Pass nicht wählen konnte. Nicht nehmen ließ sie sich hingegen, dem Aussehen der Menschen, für die sie nähte, Eleganz und Lebensfreude zu verleihen.

Broniów Song aus dem Jahr 2011 ist ein Film über ein zeitgenössisches Volkslied, das Alicja Rogalska zusammen mit der lokalen Volksmusikgruppe, den Broniowianki, geschrieben hat. Die ländliche Region Südmasowien ist bekannt für ihre reiche Volksmusiktradition und ist gleichzeitig geprägt durch eine hohe Arbeitslosigkeit. Im Text spiegeln sich die Sorgen, Nöte und Hoffnungen der Dorfbewohner:innen, die den Krisen der Wirtschaft und sozialen Verwerfungen ausgesetzt sind. Rogalskas zweite Arbeit Monument to Precarious Workers (2015) zeigt eine öffentliche Performance, bei der fünf prekär Beschäftigte mehrere Stunden lang absolut still in denselben Posen verharren, die sie bei der Arbeit einnehmen. Aufgenommen an einem bei Tourist:innen beliebten Kurort, bezieht sich die Arbeit auf Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe, der Unterhaltungsindustrie wie im Einzelhandel.

By Law (2022-24) von Lesia Pcholka und Uladzimir Hramovich symbolisiert die Schwierigkeiten, unter denen sie aus ihrer Heimat Belarus aus politischen Gründen fliehen mussten und ihre Beziehung legalisieren wollten. Blütenblätter der Orte, an denen sie bisher erfolglos versucht haben zu heiraten, werden zu Symbolen für ein Leben als Paar auf der Suche nach einer neuen Familienstruktur.

Die Künstlerin Zofia nierodzińska bezieht sich In ihren Gemälden auf die Geschichte ihres Vaters, der von Polen in die USA ausgewandert ist. Indem sie die Migration anhand von Familienerinnerungen und sozialen Strukturen analysiert, stellt sie das Phänomen der Emigration als ein translokales Netzwerk dar. Sie erforscht die Kunst der postsozialistischen Länder und sieht ihre Position als Migrantin der zweiten Generation im (ehemaligen) Westen als entscheidend, um zeitgenössische Gesellschaften zu verstehen und kritisch zu analysieren.

Das Projekt wird unterstützt von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. In Kooperation mit dem Deutsch-Polnischen Haus, der Prater Galerie und der Belarusischen Gemeinschaft RAZAM e.V.

Veranstaltungsprogramm

23.11.2024
15 Uhr Artist Tour mit Lesia Pcholka & Uladzimir Hramovich, Zofia nierodzińska, Alicja Rogalska und Aykan Safoğlu
18 Uhr PASKUDNIK eine Performance von Tubi Malcharzik
18:30 Uhr Blurring Binaries. Silesian Migrant Condition, Fluid Identity and Politics of Shame eine Diskussion mit Tubi Malcharzik (Performer:in und Dramaturg:in), Julia Nitschke (Performerin und Autorin) und Alina Strzempa (Slavische Sprach- und Kulturwissenschaftlerin), moderiert von Paweł Świerczek (Dramaturg, Performer, Produzent und (Neuro)Queer-Aktivist).

07.12.2024
18 Uhr Wedding Party . Pcholka & Hramovich mit einer Performance und Musik von DJ Dosaaf (Gleb Kovalski)

18.01.2025
15 Uhr Curators Tour mit Zofia nierodzińska und Finissage der Ausstellung