TAMUNA CHABASHVILI . SERGEY SHABOHIN . ZHENIA STEPANENKO

All the Dots Connected Form an Open Space Within
Kuratiert von Marija Petrovic
In Zusammenarbeit mit der taz Panter Stiftung

Der 24. Februar 2022 wird häufig als das Datum beschrieben, das die Zeit plötzlich und unwiderruflich in ein „Vorher“ und ein „Nachher“ eingeteilt hat. Während jedoch unbestreitbar ist, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine den endgültigen Punkt markiert, an dem es kein Zurück mehr zu einem „Vorher“ gibt, existiert dieses Datum auch in einer immer noch unterrepräsentierten Geschichte brutaler russischer Aggression gegen dessen Nachbarstaaten. Einer Aggression, die sich über Jahrhunderte zurückverfolgen lässt.

Die Ausstellung All the Dots Connected Form an Open Space Within untersucht, wie Erfahrungen von Gewalt, Unterdrückung und die Grauen des Krieges künstlerisch anhand persönlicher Erkundungen adressiert werden können. Im Fokus stehen dabei Auswirkungen auf das tägliche Leben und die eigene Umgebung, sowie unterschiedlichen Strategien des Widerstands und der Fürsorge. Der Titel beschreibt eine Verschiebung der Perspektive von den Gewissheiten der üblichen Fixpunkte, welche oft durch Einträge auf Karten oder der Zeitachse markiert werden, nicht unbedingt, um sie zu negieren, sondern um den Raum dazwischen hervorzuheben, der häufig in ihrem Schatten bleibt. Die Ausstellung lädt dazu ein, die großen symbolischen Gesten zu hinterfragen und schlägt einen intimeren Ansatz vor, der es ermöglicht, die scharfen Grenzen der Zeitlichkeit aufzulösen und Vergangenheit sowie Gegenwart als dynamisch und eng miteinander verwoben zu betrachten.

Tamuna Chabashvili (*1979, Georgien) erkundet in ihren textilen Arbeiten Orte der Zuflucht, wobei sie sich auf diejenigen konzentriert, die dem Körper nahe sind. Als Material verwendet sie gebrauchte Decken, die sie von Freund:innen bekommt oder auf lokalen Flohmärkten in Tbilisi findet. Solche Textilien sind in unzähligen osteuropäischen Haushalten zu finden, aber während Flucht und Vertreibung werden sie oft genutzt, um Wärme zu spenden, vor Wind und Wetter zu schützen oder Habseligkeiten zu verstauen. Über die unmittelbare praktische Funktionalität hinaus ist die Praxis des Webens eng mit dem weiblichen Geschichtenerzählen und der künstlerischen materiellen Einschreibung sowohl persönlicher als auch kollektiver Erfahrungen durch Kulturen und Geschichte hindurch verbunden. Textilien sind daher Spuren, Archive und Werkzeuge zugleich. Vielfältige Geschichten und Erinnerungen an Migration, Vertreibung und Trauma, eingebettet in den kulturellen Kontext Georgiens – das ebenfalls einen Angriff Russlands erlebte – bilden die Grundlage für Tamunas Arbeit. Auf einer der Decken ist die Landkarte des besetzten Abchasien als dynamisches Raster aus Knoten dargestellt. Die Arbeit der Künstlerin folgt jedoch nicht der üblichen archivarischen Praxis der Ansammlung, sondern ist das Ergebnis eines Prozesses der Extraktion und Destillation. Tamunas Objekte sind somit von einer persönlichen Suche nach dem Wesentlichen geprägt, das sich jenseits konkreter historischer Bezüge offenbart.

Sergey Shabohin (*1984, Belarus) thematisiert in seinen Arbeiten das Verhältnis von staatlicher Kontrolle, verborgenem Wissen und Widerstand. Sein Wandbild „Friendship Mound (Three Sisters)“ schwebt in Grautönen über der Ausstellung. Es zeigt ein Denkmal, das auf dem Dreiländereck zwischen Belarus, Russland und der Ukraine steht und die „Freundschaft“ zwischen den Ländern darstellen soll, als Kuchen mit einem ausgeschnittenen Stück. Das Monument findet sich als 3D Druck auch als Teil einer anderen Arbeit, neben Objekten, die an Bücher erinnern. Diese tragen Titel in belarussischer Sprache, die das Spektrum der sehr subtilen Schattierungen von Trauer und Schmerz beschreiben, die die Sprache unterscheidet. Dies Sprektrum ist sehr präsent in der belarussischen Literturgeschichte. Die Objekte sind von einer selbstklebenden Folie mit einem Marmormotiv umgeben, das aufgrund seiner einfachen Handhabung und Verbreitung mit sozialem Wandel in Verbindung steht. Die Schwere des Marmors symbolisiert aber auch die trügerischen Versprechungen des Sowjetregimes und des autoritären belarussischen Regierungsapparats. Das Muster findet sich auch in Sergeys dritter Arbeit in der Ausstellung, einer Serie von Collagen aus Postkarten und Zeitungsausschnitten mit Gemälden des ukrainischen Künstlers Archip Kuindschi (1841-1910). Als Vertreter der Romantik ist er vor allem für seine Gemälde der Landschaft von Mariupol bekannt, wo er geboren wurde und lebte. Diese Landschaften sind ebenso schön, wie politisch aufgeladen. Heute, nach der brutalen Zerstörung und Besetzung von Mariupol durch Russland, bei der auch das Archip Kuindschi gewidmete Museum geplündert wurde, haben seine Bilder nichts von ihrer eindringlichen Bedeutung verloren.

Zhenia Stepanenko (*1996, Ukraine) untersucht in ihrer Arbeit, wie sich in der Ukraine das Verhältnis zur Datscha während der Invasion verändert hat. Datschas sind kleine Wochenendhäuser auf dem Land, die sowohl Entspannung von der Hektik des Alltags bieten, als auch die Möglichkeit, selbst Obst und Gemüse anzubauen. Da Datschas für Geborgenheit stehen, haben sich viele Menschen auf der Flucht vor der drohenden Invasion dorthin begeben. Doch aufgrund der Besetzung der Vororte erwiesen sich Datschas als alles andere als sicher. Zhenia untersucht, wie der Verlust von Sicherheit und Privatsphäre sowie die Sorge vor einer erneuten Besatzung sich als Heimsuchung niederschlägt. Als Wissen darum, dass Grenzen dieser Zufluchtsorte bröckelig geworden sind und sie die äußeren Gefahren nicht aufzuhalten vermögen. Zhenias Objekte zeugen von dieser Transformation und der damit einhergehenden unheimlichen Durchdringung aller Alltagsaktivitäten. Die Kombination von dekorativen und esoterischen Objekten mit rostigen Werkzeugen und Waffen wirkt spielerisch und harmlos, doch gleichzeitig schwingt die Notwendigkeit von Verteidigung und entschlossener Stärke in ihnen mit. Der Protagonist der Arbeit ist Zhenias Gärtner-Großvater in seiner geliebten Datscha in Chernihiv im Norden der Ukraine. Durch diesen konkreten biografischen Bezug bekommt die Sorge vor einer erneuten Besatzung eine weitere Ebene. Denn für viele der älteren Menschen in der Ukraine hat die russische Besatzung die noch frische Erinnerung an die verheerende deutsche Okkupation des Landes während des Zweiten Weltkriegs hervorgerufen.

Diese Ausstellung ist Teil der Projektreihe „Krieg und Frieden. Austausch über Grenzen hinweg“, die die taz Panter Stiftung mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes 2022 ins Leben gerufen hat.